Und wenn wir alle zusammenziehen?

Gemeinsam wohnen im Alter: Soziales Experiment oder Utopie?

„Wir dachten an eine kleine Gruppe von Leuten, die gemeinsam ihr Haus bauen und gemeinsam entscheiden – das war eine totale Utopie.“ Seit vier Jahren kämpft Régis Verley gemeinsam mit seiner Frau Françoise für ihr Wohnprojekt Les ToitMoiNous in der Nähe von Lille. In diesem Jahr sollte das Haus endlich gebaut werden – doch dann fanden die Bauarbeiter archäologische Überreste, und die Baustelle wurde gesperrt …

„Wir sind mitten in einem sozialen Experiment! Und das mache ich lieber mit Frauen im Boot, zumal wir älteren Frauen oft alleinlebend sind“. Die Soziologin Astrid Osterland ist vor acht Jahren in den Beginenhof in Berlin gezogen. Hier sind ausschließlich Frauen die Eigentüme­rinnen ihrer Wohnungen, ganz gleich, mit wem sie dort wohnen.

Im Beginenhof trifft man sich auf dem Flur zum Kaffee. © S. Jainski
Im Beginenhof trifft man sich auf dem Flur zum Kaffee. © S. Jainski

Jede tickt anders

„Du kommst her und denkst, alle ticken wie ich – und dabei tickt jede anders!“ Die Bewohnerinnen im Beginenhof mussten sich erst über Jahre zusammenraufen. Inzwischen sind sie aber sehr zufrieden mit ihrer lebendigen Gemeinschaft, in der in verschiedenen Gruppen gemeinsam getanzt, gekocht, gelesen und diskutiert wird. Hier können die selbstständigen Frauen, die ihr Leben lang Verantwortung getragen haben, endlich auch mal loslassen und sich nur noch um das kümmern, was ihnen am Herzen liegt. „Die Frauen, die hier leben, geben mir einfach durch ihr Dasein Beispiele: So möchte ich es auch machen, oder so lieber nicht! Das hilft mir auch, meine eigenen Potenziale bewusster zu entwickeln!“ sagt Cordula Grafahrend, die sich in der Gartengruppe betätigt. Viele Frauen engagieren sich auch in sozialen Projekten außerhalb des Hauses, denn sie wollen auch in den Kiez hineinwirken.

Hier soll das Haus hin! © P. Petrides
Hier soll das Haus hin! © P. Petrides

Die Gemeinschaft fällt nicht vom Himmel

„Die Gemeinschaft fällt nicht vom Himmel, sondern es ist an uns, all das aufzubauen“, sagt die 75jährige Marie-Hélène Vandenboossch aus Villeneuve d’Ascq in Nordfrankreich. Sie gehört zu einer Studien­gruppe, die sich für einen altersgerechten Umbau der Stadt engagiert. „Hier in Villeneuve haben wir ein typisches Altenghetto. Vor 40 Jahren sind hier lauter junge Familien hingezogen, inzwi­schen wohnen hier nur noch Rentner. Aber keiner begreift, was das für ein Potential ist. Wir können uns doch selber helfen!“, erklärt der ehemalige Journalist Régis Verley. Und seine Frau Françoise ergänzt: „Wir haben die älteren Menschen von Villeneuve nach ihren Wünschen gefragt, und fast alle haben dasselbe gesagt: Keiner will ins Heim, alle wollen so lange wie möglich mobil und aktiv bleiben.“ Deshalb haben Françoise und Régis vor vier Jahren das Wohnprojekt „Les ToitMoiNous“ („Ein Dach für dich, für mich und für uns“) gegründet. Zu den Alten gesellten sich rasch auch junge Familien, es entwickelte sich ein Mehrgenerationen­­projek­t. Jetzt haben sie endlich ein Grundstück gefunden, und der Bau sollte schon Anfang des Jahres los­gehen. Doch die ToitMoiNous kämpfen immer noch gegen die Mühlen der Büro­kratie, denn sie wollen eine soziale Mischung: Menschen mit unterschiedlichem Einkommen sollen in das Projekt ziehen können – dafür ist das staatliche Regelwerk in Frankreich jedoch viel zu starr.

Die Schweden dagegen haben den Bogen raus: Sie erfanden schon vor über 20 Jahren Wohnprojekte „für die zweite Lebenshälfte“, allein in Stockholm gibt es bereits fünf dieser Häuser, siehe den Beitrag Wohnen für die zweite Lebenshälfte.

Entdecken Sie die Vielfalt der Wohnformen im zweiten Teil von Das Beste kommt noch
Wohnst du schon? am 15. April um 22:35 Uhr in ARTE!

 

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